Der Preis der Stunde (1)

Veröffentlicht auf von anna

 

Das Rechnen war seine Stärke. So stellte er wie ein Buchhalter die Bilanz zum Tage auf:

Er war gerade 48 Jahre alt. So ein Alter sollte ein Mann in seiner Situation besser weiträumig umfahren. Wer würde einen Seinesgleichen einstellen? Einen Geistesarbeiter, der für Schwarzarbeit nicht taugte und die Arbeitsjahre nach der Wende der Beliebtheit im früheren Betrieb verdankte? Dort waren längst alle Ostaufbausubventionen inWESTiert. Für eine Vorverrentung war Ben zu jung. Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe waren aus-, seine Frau Babett weggelaufen. Er hatte Sozialhilfe beantragt, viele Formulare ausgefüllt, Belege kopiert, Begründungen geschrieben. Sein Antrag war abgelehnt worden. Sein Sparguthaben wäre zu hoch gewesen. Jetzt war es weg, aber im Ärger seines ersten Antragsverfahrens hatte er zu viel Verdauungsdünste über die Amtsmitarbeiter freigelassen, und überhaupt graute ihm vor einem noch unabsehbaren neuen Ablehnungsgrund gegen den neuen Antrag. Seine letzten ordentlichen Klamotten stammten aus der Zeit, als seine Ehe noch intakt war. Bei seinem großen Sohn taugte er nicht einmal mehr als Unterhaltleistender. Als er arbeitslos geworden war, hatte er sich ausgemalt, endlich wieder die Dinge zu tun, die er nach der Wende zwecks Arbeitsplatzerhalt gegen Überstunden und Heimarbeit eingetauscht hatte: Konzerte besuchen zum Beispiel, ins Museum gehen, ins Theater, in Ausstellungen oder mit Freunden etwas unternehmen. Es war ein Trugschluß, obwohl er die Scheu, mit der er seine Bekannten mied, nicht erklären konnte. Schlicht und einfach: Er kannte niemanden, für den er nur im geringsten einen Wert besessen hätte, und erwartete auch nicht mehr, daß sich das ändern konnte. Im Gegenteil. Der Uraltdispo seiner Bank würde ihm nicht mehr lange die Miete finanzieren und an Bargeld zählte Benjamin 110 Euro an Scheinen und ein paar Münzen.

Er ging die Posten nüchtern durch. Eine fette Sollseite. Es war also nur vernünftig, wenn er sich möglichst unauffällig und schmerzarm von dieser Marktwirtschaft zurückzog. Beziehungen hatte er keine. Als Form des Abschieds kamen also nur Messerschnitte oder Abstürze in Frage.

Da stoppte er. Was war mit den 110 Euro? Warum bezahlte er damit nicht eine kurze Illusion, wie schön es hätte werden können? Er erinnerte sich, daß er in besseren Tagen nie vergeblich auf Majas erotische Massagekünste gebaut hatte.

Er stellte sich kurz vor den Spiegel. Für einen Massagesalon-auftritt brauchte er sich das ungepflegte Gesicht nicht zu rasieren, aber an versteckter Stelle konnte Maja das bei ihm tun.

Sie stand zufällig selbst in der Tür.

Nanu? Du? Komm rein!„

Maja stöckelte vor ihm her wie vor zwei Jahren. Sie trug einen schwarzen Kunstlederwickelrock wie damals und das Weiße der halterlosen Strümpfe lugte auch noch so obszön darunter hervor. An der gleichfalls weißen Bluse war nun nur noch der letzte Knopf zu. Benny versuchte, nicht zu aufdringlich in den Ausschnitt zu gucken. Maja war hübscher geworden, wenn auch dürrer.

Ben grüßte kurz die anderen Mädchen am Tisch. Die sahen normal aus, hatten sich allerdings in Decken eingewickelt, denn im Vergleich zu der Schweißtropfenwärme draußen war es im „Empfangsraum" empfindlich dunkel und kühl. Ein dumpfes Grübeln verkrallte sich in Bennys Gesichtszügen. Er spürte es körperlich. Die, ausgerechnet die waren die letzten Frauen, die er in seinem Leben sehen würde. Wieso eigentlich „ausgerechnet die ...„? Die waren weniger vernuttet als die meisten draußen. Und sie kannten ihre Grenzen.

Mit gespielter Leichtigkeit sprang Maja auf und winkte Ben weg vom belanglosen Geplauder am Pausentisch. „Na, kommst du? Ich zeig dir alles wie beim ersten Mal"

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