Operation Zeitensprung - ein utopischer Roman (83)

Veröffentlicht auf von anna

Ich folgte Ernst, der sehr leise, um die Begeisterung der anderen Patienten nicht zu stören, rückwärts aus dem Kommunikationsraum schlich. Wir quetschten uns in eine Ecke des Warteraums, in dem wir jetzt allein warteten. Ich packte Ernsts herunter hängende Linke. Einfach so. Er sah mich an und schmunzelte ausnahmsweise nicht ein bisschen dabei.

„Wenn sie eine Invasion gestartet hätten, wäre es noch einmal spannend geworden", erklärte er in der Art eines eingeschnappten kleinen Jungen. Beschäftigte Ernst diese Frage wirklich? Hatte er an die selbe Filmidee gedacht? Oder suchte er nur ein ablenkendes Gesprächsthema? Abwartend sah ich zu ihm hin.

„Es ist doch eine enorme technische Leistung", fuhr er fort, „die diese Hochköpfe uns hier vorführen. Sie zeigen uns, dass sie die Zeit beherrschen. Sie mussten ja ihre Mannschaften erst einmal in die Vergangenheit geschickt haben, um sie im günstigsten Augenblick in unserer Gegenwart auftauchen zu lassen. Und jetzt haben sie sich schon mit den Unseren vermischt."

Noch immer erwiderte ich nichts. Offenbar deutete Ernst das falsch:

„Entschuldige, Anna. Vielleicht war der Zeitpunkt für dich doch nicht so günstig, denn so bekommt deine bisherige Funktion ausgerechnet dann die größte Aufwertung, nachdem du sie abgegeben hast. Aber du kannst sicher zurück wechseln, wenn es dir keinen Spaß macht, das erste Reiseteam nach Alpha zu leiten."

„Wenn sie solch gewaltige Fähigkeiten besitzen, werden sie mit Maria schon klar kommen!"

Nun saßen wir wieder schweigend und vor uns her brütend auf unseren Plätzen. Wahrscheinlich hätte ich ihm die Chance geben sollen, sich mit etwas zu beschäftigen, was bestimmt nicht sein Problem war. Nicht einmal meines. Er hatte den Unsinn mit der Invasion ja selbst angesprochen. Der hätte ihn etwas ablenken können. Und ganz Unrecht hatte er ja nicht. An der Stelle, an der wir vor kurzem gewesen waren, überschlugen sich jetzt die Ereignisse. Bis wir wieder zurück wären, hätten andere die wichtigsten Entscheidungen gefällt.

Ich stand auf, deutete auf Spiele und Zeitschriften, die im Raum herumlagen. Ernst schüttelte nur den Kopf.

„Wirklich Ruhe wird es erst geben, wenn niemand mehr Angst um das Leben von Gefährtin und Kind zu haben braucht. Also nie."

Ich quälte mir den Satz heraus. Ernst antwortete nicht.

Die nächsten Minuten tickten träge vor sich hin. Dann ging die Tür auf. Eine Frau mit halb gelöstem Mundschutz kam auf uns zu. Hinter ihr halb verborgen schlürfte uns die Hochkopffrau entgegen, deren große Augen allen Ausdruck verloren hatten. Wie um sich zu entschuldigen, sagte die Menschenärztin zu Ernst:

„Aber Ihre Frau ist durch. Das Kleine war schon tot."

Ich fragte für ihn mit: „Wann können wir zu ihr?"

Und als wäre sie dankbar, eine positive Antwort geben zu können, lächelte die Ärztin kurz auf und sagte deutlich lauter als zuvor:

„Eigentlich gleich. Die Patientin ist wach." Und nach einer kurzen Pause: „Sie weiß es bereits."

Wir folgten den Ärztinnen ins Zimmer 12. Sie erklärten uns auf dem Gang:

„Das ist eines jener Zimmer, wo wir genesende Patienten mit psychisch gefährdeten Mitpatienten zusammenlegen. Das Mitteilen von Erfahrungen hilft meist beiden. Und ihre Maria braucht viel Kraft."

„Natürlich, wir sind vorsichtig", antwortete ich deshalb.

Ein wenig unbeholfen erwartete uns Nuk vor der Krankenzimmertür. Versteckte ihr Gesicht hinter einem riesigen Blumenstrauß.

„Mama und Paps kommen heute Abend", flüstert mir Nuk zu. „... und Luk auch."

„Soll sie mit ...?", fragte die Hochkopfärztin abwartend.

Wir nickten. Drückten geräuschlos die Klinke herunter. Standen betreten herum. Nuk legte die Blumen auf die Bettdecke, konzentrierte sich, holte Luft, als hätte sie einen langen Text eingeübt. Schließlich sagte sie nur „Hallo" und tauchte zwischen uns unter.

Maria lag da, sichtlich blass, und als sie uns bemerkte, veränderte sich nichts in ihrem Gesicht.

„Übermorgen wirst du entlassen."

Das war einer der Sätze unserer Ärztin vom Gang. Allerdings hatte die dann ergänzt, wenn sich keine Komplikationen ergeben sollten, und die befürchte man im psychischen Bereich. Ein vergleichbarer Fall sei ihr nicht bekannt. Aber Ernst hätte nicht Ernst sein dürfen, wenn er nicht plötzlich vor Marias Bett auf die Knie gefallen wäre:

„Bei Gott, an den ich nicht glaube, und allem, was mir wichtig ist, ich verspreche dir unter Zeugen: Ich mach dir ein neues. Mindestens eins."

 

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